Aufhören mit dem Gejammer!
April 17, 2008 (updated on October 24, 2009)
Ein Abgesang auf den Abgesang: Der Journalismus lebt – wenn die Branche den Wettbewerb endlich annimmt.
Von David Bauer.
Medium: Schweizer Journalist
Datum: Ausgabe 4+5/2008
Eines konnten Journalisten immer schon besser als schreiben: jammern. Das Jammern kennt viele Facetten, die Botschaft ist stets die selbe. Der Journalismus sei gefährdet, in seiner Qualität und Relevanz, er drohe abzugleiten in die Beliebigkeit. Weil sich guter Journalismus nicht mehr rechne. Weil andere Formen überhand nehmen. Es wird gejammert über den Niedergang des Journalismus. Dabei ist diese Angst um den Journalismus vor allem eins: die eitle Angst der Journalisten um das eigene Schrebergärtlein.
Das grosse Schreckgespenst zur Zeit heisst Internet. Da steht schon am frühen Abend, was die Journalisten ihren Lesern am nächsten Morgen verraten wollten. Da schreiben Menschen, die das Schreiben nicht gelernt haben, und sagen ihre Meinung, die niemanden interessiert. Und plötzlich soll verschenkt werden, was in mühsamer Handarbeit erstellt wurde.
Als Rechercheinstrument wird es gerne und ausgiebig genutzt, aber wehe das eigene Publikum will das Internet als Informationsmedium nutzen. Es ist ein Kontrollverlust, den die Journalisten hinnehmen müssen. Das Kommunikationsmonopol der professionellen Journalisten fällt, Medienkonsumenten sind weniger abhängig von ihnen. Bedeutung und Aufgaben einzelner Mediengattungen verschieben sich.
Diese Veränderungen sind nicht aufzuhalten. Genau dies aber versucht ein grosser Teil der Branche. Doch wer versucht, den Fortschritt aufzuhalten, steht vor allem sich selber im Weg. Ein Blick auf die jüngere Geschichte der Musikindustrie verdeutlicht, was geschehen kann, wenn sich eine Branche gegen Veränderungen sperrt, die längst im Gange sind.
Und so tun Journalisten gut daran, ihre Schrebergarten-Mentalität abzulegen. Nicht argwöhnisch zum neuen Nachbar äugen, sondern interessiert staunen. Nicht über das Neue lästern und jammern, dass früher alles besser war. Sich öffnen, nicht trotzig den eigenen Garten umzäunen.
Die Tatsache, dass der Journalismus derzeit Veränderungen durchläuft, mitunter gravierende, bedeutet nicht, dass es ihm schlecht geht. Im Gegenteil: Der Journalismus lebt! Mehr denn je.
Um dies zu verstehen, hilft es, die Perspektive des Medienkonsumenten einzunehmen. Für ihn wird Journalismus schliesslich betrieben. Seit der massenhaften Verbreitung des Internets hat der Konsument eine nie da gewesene Vielfalt an Informationsmöglichkeiten. Je nach Präferenz stellt er sich seinen Mix aus professionellen und Laienquellen zusammen.
Das Internet hat technisch zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnet und ist daran, eine neue Kultur des Informationsaustausches zu etablieren, die dialogischer und demokratischer ist. Davon können auch Journalisten profitieren. Neue Darstellungsformen ermöglichen neue Herangehensweisen. Die Interaktion mit Lesern bietet die Gelegenheit, Diskussionen zu führen und Themen aufzuspüren. Nicht zuletzt lässt sich aus direktem Feedback viel für das eigene Schaffen lernen.
Natürlich ist auch eine gesunde Skepsis angebracht gegenüber neuen Entwicklungen im Journalismus. Wenn journalistische Arbeit nur noch an Klicks und Page Impressions gemessen wird. Wenn User Generated Content zur Allzweckwaffe wird. Und wenn vor lauter Tempo das Denken vergessen geht. Aber ist es nicht ein Zeichen für einen quicklebendigen Journalismus, wenn er neue Formen zulässt und ihnen eine Chance gibt, sich zu bewähren?
Letztlich bedeutet Journalismus, gute und relevante Geschichten zu erzählen. Und es gilt: Wer dies am besten tut, dem wird zugehört. Die Stimmen sind mehr geworden, der Konkurrenzkampf grösser. Das mag unangenehm sein für alt eingesessene Journalisten. Für den Journalismus aber ist es eine Bereicherung.