Teuflisch gut
May 26, 2008 (updated on October 24, 2009)
Der Eurovision Song Contest in Belgrad war die Show einer besseren Welt. Und Russland gewann.
Von David Bauer.
Über den Eurovision Song Contest macht man keine Witze. Dafür ist die Sache zu ernst. Wer den Wettbewerb belächelt, verkennt, dass er das pure Leben ist. Er ist ein perfektes Abbild der Welt, in der wir uns bewegen. Alles ist vertreten. Fröhliche Menschen, traurige Menschen. Laute Menschen, leise Menschen, alte und junge. Dicke und dünne, ernste und lustige. Ungewaschene und aufgetakelte. Diven und Dorftrottel. Frauen in kurzen Röcken, Männer mit offenen Hemden. Und zum Schluss: Helden und Gefallene, glückliche und enttäuschte.
Das Abbild ist so perfekt, dass es die Realität übertrifft. Die Gegensätze umarmen sich am Eurovision Song Contest, alle verbringen einen Abend in seeliger Eintracht und teilen ihr Glück mit 100 Millionen Fernsehzuschauern. Der ESC verbindet Völker in ganz Europa. Da schenkt Montenegro Serbien die maximalen 12 Punkte, da danken es die von Russland drangsalierten Ex-UDSSR-Staaten dem grossen Bruder mit 12 Punkten und die Schweiz rettet Deutschland mit 2 Punkten vor der Blamage des letzten Platzes.
Fürwahr, wer die Show am Samstag gesehen hat, der hat eine bessere Welt gesehen. Eine gerechtere dazu, in der jeder seine Chance erhält (mit Ausnahme der Schweiz, dazu später). Und so fiel es ausserordentlich schwer, beim Zuschauen der 25 Auftritte von Island bis Aserbaidschan, Favoriten auszumachen. Da war die rassige Armenierin, die zu heissen Rhythmen in bester Shakira-Manier die Hüften kreisen liess (Am Ende: Rang 4). Ihr Double aus der Ukraine (Rang 2). Die Tango-Nummer der Kroaten mit dem 75 Jahre jungen Rapper 75 Cents (Rang 21). Die langhaarigen finnischen Stahlbeton-Rocker (Rang 22). Dänemarks „singender Polizist“ (Rang 15). Oder die süsse Griechin, die die Schweiz mag, weil Shania Twain hier wohnt (Rang 3).
Und weiter: Der türkische Rockvierer (Rang 7), der kreischende Engel aus Aserbaidschan, der selbst Matthew Bellamy von Muse das Fürchten lernen würde (Rang 8). Die schwedische Gewinnerin von 1999 (Rang 18) und die norwegische Antwort auf Duffy (Rang 5). Der russische Popstar Dima Bilan mit Eislaufweltmeister Plushenko als Testimonial (Rang 1). Oder doch die No Angels aus Deutschland mit den kürzesten Röcken des Abends (Rang 23)?
Und, nicht zu vergessen, der musikalisch beste Beitrag des Abends: Der von Daft Punk produzierte und vom bärtigen Sebastien Tellier vorgetragenen Song „Divine“, ein heisser Kandidat für den Sommerhit 2008. Er landete auf Platz 19.
Nur die Schweiz, wir wissen es, durfte am Finale erneut nicht mittun. Paolo Meneguzzi fanden im Halbfinal die meisten nicht so stupendo. Nach dem Final sollte eigentlich klar sein, warum. Wir waren mal wieder zu bescheiden, zu ernst. Wer vorne mitspielen möchte, muss dick auftragen. Glitzerndes Kleid, viel Haut, Engelsflügel, Kostüme, allenfalls noch ein Gaststar wie die Russen. Dies am Rande als Gratisservice für das Schweizer Fernsehen, das vor der Show wieder gerätselt hat, woran es gelegen hat. Wenn die Inszenierung stimmt, darf auch der Song solide statt extravagant sein.
Damit die Finalisten richtig in Szene gesetzt werden, wurde das volle Programm aufgefahren. Eine riesige, in allen möglichen Farben leuchtende und blinkende Bühne (die angeblich die Hallenkapazität von normal 23’000 Besuchern gleich mal halbiert hat), Stroboskope, Laser, roter Nebel, blauer Nebel, weisser Nebel, Feuerfontänen und Feuerwerk und für die Frauen Windmaschinen, die selbst Sir Beaufort weggeblasen hätten.
Eine perfekte Inszenierung für eine perfekte Show mit perfekten Künstlern in perfekter Harmonie für eine perfekte Massenglückseeligkeit. Künstler, die im Backstage-Bereich lachen und jubeln, als hätte man ihnen ein Buffet voller bewusstseinserweiternden Substanzen gereicht. Ein trunkener Schwede, der die Resultate verkündet. Was wird hier gespielt?
Wenn die Showauftritte von oben herab gezeigt werden, fällt es einem wie Schuppen von den Augen, ein eisiger Schauer gleitet den Rücken hinab. Die Form der Bühne, laut Veranstaltern dem Zusammenfluss von Donau und Save nachempfunden, ist nicht anderes als: das Emblem des Teufels.
(in leicht gekürzter Version heute in der Basler Zeitung erschienen)
Mein Favorit: Sebastien Tellier – Devine
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