The bianca Story: Kunst, die auch Band ist.
May 2, 2012 (updated on October 14, 2012)
The bianca Story verstehen bedeutet, sich nicht von ihrer Musik blenden zu lassen. Natürlich sind sie auf den ersten Blick eine Band. Eine vorzügliche Band, die Musik macht, über die man so leicht nicht hinweghören kann, der man sich im Gegenteil schwer entziehen kann. Die Musik aber, sie ist ein grandioses Täuschmanöver von The bianca Story.
Wie kaum jemand in den letzten Jahren wurden The bianca Story als Band kritisiert. Nicht einmal so sehr für ihre Musik, sondern für das, was sie drumherum veranstaltet haben. Eine Band, die Dok-Filme über sich selber dreht! Eine Band, die Musicals inszeniert und sie Rock-Opern nennt! Eine Band, die meint, ein Album als Unikat für 10’000 Franken versteigern zu müssen! «Unfassbare Wichtigtuer», «arty-farty Kunsti-Band» – die Irritation, die The bianca Story beim Publikum ausgelöst haben, lässt sich im Musikblog 78s, für den ich zahlreiche Artikel über sie geschrieben habe, aber auch anderswo in hunderten Kommentaren nachvollziehen.
Wer The bianca Story auf diese Art erfassen will, wer sie als Band mit grossem Drumherum versteht, der hat sich auf das Spiel eingelassen, das sie mit uns allen spielen. Ein Spiel, das dem Kern von The bianca Story schon näher kommt.
Das Spiel beruht auf Aktion und Reaktion. Es zieht keine Grenzen zwischen Sein und Schein, alles ist und ist nicht, sei es vorgespielt oder zugeschrieben. The bianca Story ist, so meine ich nach all den Jahren verstanden zu haben, ein interaktives Kunstwerk. Keine Band, die auf Kunst macht. Keine Band, die Kunst macht. Nicht mal eine Band, die Kunst ist. Sondern Kunst, die auch Band ist.
Die Musik spielt dabei eine dominante, doch nicht unbedingt die zentrale Rolle. Sie ist der wohlklingende Lockruf, der das Publikum verführt. Ist es verführt, wird es zu willigen und doch unwissenden Statisten und Nebendarstellern innerhalb der bianca Story – oder zu Protagonisten? So genau weiss man das nie. Denn wer inszeniert wen, wenn The bianca Story ein Konzert im Dunkeln spielen und die Scheinwerfer auf das Publikum richten? Popmusik, so hat mir Fabian einmal erklärt, sei das ehrlichste aller Genres. Ehrlich, weil es gar nicht erst so tut, als wäre es ehrlich. Kein Wunder, haben sich The bianca Story diesem Genre verschrieben.
Musik lässt sich bei The bianca Story immer nur verstehen im Zusammenspiel mit anderen Elementen und dem Zweck, den sie letztlich erfüllen soll. Die Musik wird in den Dienst einer grösseren Sache gestellt. Es gibt kein Drumherum, das der Musik zudienen soll.
Nehmen wir das «Unique Copy Album». Musik, die man nicht als CD kaufen kann, sondern einmalig ersteigern konnte in Form eines zwei mal zwei mal zwei Meter grossen Würfels mit integriertem Fernseher und Soundsystem. Verkauft für 10’000 Franken. Die Musik ist hier in erster Linie Vehikel, um sich selbst zu reflektieren: Was ist Musik wert? Wie definiert sich der Wert von Musik: durch die Verpackung, die Verknappung, die Vermarktung?
Nehmen wir die musikalischen Inszenierungen «Chris Crocker» und «M & The Acid Monks». Die Musik ist Protagonistin und Soundtrack zugleich, Überbringerin einer dramatischen Botschaft an sich selber: Sünde und Vanitas allerorten, ist Musik im Showbusiness nichts als Schein und Scheine?
Fragen, hier wie zuvor, die nicht The bianca Story beantworten, sondern denen sie sich als Plattform zur kollektiven Beantwortung anerbieten. The bianca Story stechen zu, jedes Aua ist Ausgangspunkt für eine mögliche Antwort.
Nehmen wir schliesslich die Dok-Filme «30 Month Performance» (2008, online nicht mehr verfügbar) und «High & Low» (2011), die The bianca Story über sich selber gedreht, bzw. in Zusammenarbeit mit Gregor Brändli realisiert haben. Sie stehen stellvertretend für das Gespür des Kollektivs, sich zu inszenieren, sich im Gespräch zu halten und den Diskurs über sich selber voran zu treiben.
Spätestens hier komme ich selber ins Spiel. Indem ich regelmässig über The bianca Story geschrieben habe – und es in diesem Moment wieder tue – mache ich mich zum Teil der Inszenierung. Ich habe Nachdenken über The bianca Story angestossen, habe Kritik an ihnen provoziert, und natürlich dem Produkt The bianca Story eine Plattform gegeben. Habe ich wirklich? Oder wurde ich zum Akteur gemacht, gezielt gecastet, subtil gesteuert?
Wenn The bianca Story ein interaktives Kunstwerk ist, wer kontrolliert es dann?
The bianca Story sind bekannt dafür, alle Aspekte ihres Schaffens akribisch durchzudenken und aufeinander abzustimmen. Musik, Videoclips, Bandbilder, Bühnenshow, öffentliches Auftreten – alles fügt sich zu einem Gesamterlebnis The bianca Story zusammen. Egal auf welchem Weg jemand mit The bianca Story in Berührung kommt, nichts soll zufällig wirken. Umgekehrt aber wird es da richtig spannend, wo Kontrolle verloren geht: in der Interaktion mit Menschen, durch die Reaktionen des Publikums auf The bianca Story, durch Reaktionen auf andere Reaktionen.
Die Kontrolle über The bianca Story ist eine trügerische. Die Manipulatoren sind jederzeit manipulierbar. Und gerade hierin liegt das wahrhaft Kunstvolle am Werk The bianca Story: Jeder kann es mitbestimmen, für sich umdeuten, niemand jedoch kann es kontrollieren.
Disclosure: Diesen Text habe ich im Auftrag von Fabian Chiquet für seinen Werkkatalog «END» (PDF) geschrieben. Er hat mir ein Honorar bezahlt, inhaltlich aber keinen Einfluss auf den Text genommen.