Datenjournalismus beim Guardian: ein Augenschein
April 22, 2013
Der Guardian hat als eines der ersten Medien konsequent auf Datenjournalismus gesetzt und gilt, vor allem dank Simon Rogers’ kontinuierlicher Aufbauarbeit mit dem Datablog, nach wie vor als Referenzpunkt. Ich hatte die Gelegenheit, eine Woche lang auf der Redaktion in London beim Datablog mitzuarbeiten. Einige Eindrücke und Erkenntnisse dieser Zeit möchte ich hier teilen.
Keiner grossen Rede wert
Datenjournalismus wird beim Guardian nicht zelebriert, sondern täglich gemacht. Bei den meisten deutschsprachigen Medien steht Datenjournalismus für das Ausserordentliche, beim Guardian steht er für das Normale. Es ist selbstverständlich, dass grosse Themen mit einer Datengeschichte angereichert werden. Datenjournalismus muss nicht selber im Zentrum stehen («Seht her, wir haben Datenjournalismus gemacht!») und läuft damit auch weniger Gefahr, sich als Hype abzunützen.
Aus dem Tag heraus
Die meisten Geschichten für den Datablog entstehen aus dem Tag heraus. Entweder weil sich zu aktuellen News eine Aufbereitung mit Daten anbietet (letzte Woche zum Beispiel: Four decades of US terror attacks listed and detailed, Fertilizer explosions listed and US facilities mapped, The 100 most popular musicians on Twitter oder Margaret Thatcher’s funeral: 23 things you could pay for with £10m) oder weil Daten veröffentlicht werden, die von öffentlichem Interesse sind (letzte Woche zum Beispiel: Youth unemployment mapped, UK inflation since 1948).
Daneben entstehen Geschichten, die auf ein bestimmtes Ereignis hin planbar sind, letzte Woche zum Beispiel: 125 years of the Football League and the top flight – which team comes top?, How does the London Marathon compare to other races worldwide?.
Für grössere Geschichten – von denen gab es ja beim Guardian zuletzt ja einige – arbeitet das Data Team mit weiteren Journalisten und dem Graphics Team zusammen.
Kleines Team, grosser Output
Es kann nicht oft genug betont werden: Das Team des Datablog besteht im Kern aus drei Journalisten, wovon einer nur Teilzeit arbeitet. In den letzten zwölf Monaten wurden auf dem Guardian Datablog insgesamt 878 Artikel veröffentlicht, knapp 17 pro Woche. Dass mit diesem Team ein solcher Output möglich ist, liegt zum Teil daran, dass Simon Rogers eine unglaubliche Produktivität an den Tag legt, vor allem aber daran, dass die Geschichten schmucklos und effizient umgesetzt werden. Done is better than perfect.
Einfache Tools
Das Data Team arbeitet fast ausschliesslich mit einfachen, frei verfügbaren Tools: Excel, Google Spreadsheets, Google Fusion Tables, Datawrapper, Google Maps, Tableau Public und CartoDB. Lediglich für die Einbindung von Tabellen in Artikel hat der Guardian eine eigene Lösung im CMS (konkret wird eine xls-Datei hochgeladen und so formatiert, dass eine Tabelle mit sortierbaren Spalten dargestellt wird).
Open Data
Die Rohdaten werden konsequent zusammen mit den Artikeln veröffentlicht. Direkt nach dem Lead (also noch bevor die eigene Aufbereitung folgt), steht standardmässig der Link «Get the Data». Am Ende des Artikels steht oft eine Aufforderung im Sinne von «What can you do with the data?». Simon sagte mir, dass ein wichtiges Erfolgskriterium für ihn sei, wie viele Leute nach Publikation einer Geschichte auf das Spreadsheet mit den Daten zugreifen.
Vorbild Guardian
Das Schöne ist, dass man sich von Guardian sehr viel abschauen kann. Das ist nicht selbstredend. Die Datengeschichten etwa, mit denen die New York Times regelmässig weltweit für Aufregung sorgt (aber auch jene, mit denen sich deutschsprachige Medien zuletzt hervor getan haben), sind nicht unbedingt ermutigend für kleinere Redaktionen, weil sehr viel Spezialwissen und Ressourcen in ihre Entwicklung fliesst. Anders der Datablog der Guardian. Was da entsteht, kann in jeder Redaktion entstehen. Grosse Datengeschichten sind eine Frage der Ressourcen. Kleine Datengeschichten sind eine Frage der Einstellung.
Weiterführende Links
- Flickr-Gruppe des Datablog
- Meine Datenjournalismus-Linkliste mit hunderten Beispielen, Tutorials, Tools und Datenquellen
- Datenjournalismus Schweiz (DDJCH) bei Tumblr
Meine Geschichten
Pieces for the Guardian Datablog
Storified by David Bauer· Fri, Apr 19 2013 14:42:01
Simon Rogers verlässt den Guardian Ende April und wird bei Twitter die neu geschaffene Stelle als Data Editor übernehmen. «I can’t imagine a better job than getting to tell stories based on some of the most amazing data around.», schreibt er dazu auf seiner Website. Seine Position beim Guardian wird James Ball übernehmen.