Wem Sprache gehört und warum sie nicht verhunzt wird
August 23, 2008
Wolf Schneider, verbitterter Gralshüter der deutschen Sprache und so etwas wie ein humorloser Bastian Sick, darf in der aktuellen Weltwoche die zunehmende “Verhunzung” der deutschen Sprache beklagen (> Zum Artikel: “Jede Verhunzung der deutschen Sprache tut mir weh”).
Schneiders Bücher (“Deutsch für Profis” oder “Deutsch!”) können jedem angehenden Journalisten zur Lektüre empfohlen werden, mir selber haben sie vor einiger Zeit gute Dienste erwiesen. Zwar sind sie mit einer gewissen Nonchalence zu lesen und seine Ratschläge keinesfalls sklavisch zu befolgen, doch sind einige Grunderkenntnise sehr wertvoll: Verben, nicht Adjektive machen die Sprache lebendig. Kurze Wörter und kurze Sätze sind besser als lange. Sinneinheiten nicht auseinander reissen.
Schon in seinen Büchern wirkt Schneider eher oberlehrerhaft und ausgesprochen konservativ. In einem Lehrbuch ist das erträglich. Unerträglich wird Schneider, wenn er zum Rundumschlag ausholt. Wenn er die Weiterentwicklung der Sprache moralinsauer als Verhunzung brandmarkt, wenn er stur auf Normen beharrt.
In diesen Momenten zeigt Schneider, dass er nicht verstanden hat, was Sprache ist. Sprache ist nicht das, was Regelwerke den Menschen vorschreiben. Sprache ist das, was Menschen verwenden. Die Sprache wird nicht durch Regeln geformt, sondern durch ihren Gebrauch.
Sprache ist dynamisch und stets im Wandel begriffen. Sie passt sich den Bedürfnissen der Menschen an und diese sind nunmal heute nicht mehr dieselben wie zu Goethes Zeiten (ganz abgesehen davon ist die deutsche Sprache, die Schneider als heiligen Gral verteidigt, ebenso aus früheren Formen des Deutschen entstanden und damit Produkt einer Weiterentwicklung, die Schneider nun aufhalten möchte, als wäre die Sprache an einem idealen Endpunkt angelangt).
Das ist kein Plädoyer gegen eine schöne, geschliffene Sprache. Diese hat ihren Platz, ihren Sinn und Zweck, aber eben nicht exklusiv und nicht mehr als andere Formen von Sprachen, die Schneider als “Verhunzung” empfindet. Hätte Goethe ein Handy gehabt, auch er hätte seiner Liebsten hin und wieder ein “hdg” geschickt.
> Diskussion bei Facts 2.0 zum Weltwoche-Interview mit Wolf Schneider