Wie Journalisten selber Schlagzeilen machen
August 22, 2010
Die SonntagsZeitung liefert heute ein Paradebeispiel dafür, wie sich kinderleicht Schlagzeilen konstruieren lassen.
Am Kioskaushang und auf der Frontseite der SonntagsZeitung steht heute in grossen Lettern:
Calmy-Rey: Fünf Frauen im Bundesrat sind ein Problem
Eine interessante Aussage der SP-Bundesrätin. Da möchte man mehr wissen. Im Text auf der Frontseite erfahren wir, wie Calmy-Rey zu ihrer Aussage kommt:
Es gilt zu bedenken, dass sich Männer nicht mehr vertreten fühlen könnten”, warnt Calmy-Rey im Interview mit der SonntagsZeitung.
Nun weiss man ja, dass Journalisten Zitate gerne etwas aus dem Zusammenhang nehmen, damit sie eindrucksvoller klingen (been there, done that). Schauen wir also mal im Interview auf Seite 5 nach, in welchem Kontext Calmy-Rey den auf der Frontseite zitierten Satz sagt (fettgedruckt sind die Fragen der SonntagsZeitung).
[…]
Also lieber fünf Frauen als zwei Berner.
Das sagen Sie. Auf jeden Fall nicht mehr als sieben!
Männer könnten sich nicht mehr vertreten fühlen.
Tatsächlich gilt es, das auch zu bedenken. […]
Nanu. Calmy-Rey sagt das gar nicht. Einer der beiden Interviewer der SonntagsZeitung sagt es. Und Calmy-Rey ist diplomatisch genug, nicht zu widersprechen (sonst hiesse die Schlagzeile: Calmy-Rey will mindestens fünf Frauen im Bundesrat). Es ist eine denkbar harmlose und inhaltsarme Passage des Interviews. Richtig zugespitzt reicht es aber bis zur Schlagzeile auf der Front, mit der man sich am Kiosk der Leserschaft anpreist.
Korrekt hätte die Schlagzeile lauten müssen:
Calmy-Rey stimmt der SonntagsZeitung zu, dass das Geschlecht einer von vielen Faktoren ist, die es bei der Neubesetzung des Bundesrats zu berücksichtigen gilt.
Newswert? Richtig geraten: Null.
NB: Selbstverständlich handelt es sich hier nicht um eine Praxis, die für die SonntagsZeitung besonders typisch wäre. Alle Medien funktionieren so. Bloss schaue ich mir die SonntagsZeitung, für die ich bis vor ein paar Monaten selber gearbeitet habe, etwas genauer an.