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«Wir bauen eine Suchmaschine für Ihre DNA»

July 17, 2009 (updated on October 24, 2009)

Anne Wojcicki, die Frau von Google-Gründer Sergey Brin, will mit Online-Gentests das Gesundheitssystem revolutionieren

Von David Bauer

Medium: SonntagsZeitung
Ressort: Multimedia
Datum: 03.05.2009

Kein Wunder, hat Google mehrere Millionen in diese Firma investiert. 23andme bastelt in Kalifornien an nichts Geringerem als einer Suchmaschine, die den Menschen durchforsten kann. Im Zentrum stehen die 23 Chromosomenpaare der menschlichen DNA – daher der Firmenname. Für 400 Dollar kann jeder seine Gene testen lassen und einer Onlinegemeinschaft beitreten, um seine Herkunft und Gesundheitsrisiken mit anderen zu vergleichen. Anne Wojcicki, Ko-Gründerin von 23andme und Ehefrau von Google-Kopf Sergey Brin, glaubt, damit das Gesundheitssystem revolutionieren zu können.

Frau Wojcicki, Sie wollen meine Gene testen und in eine Onlinedatenbank einspeisen. Warum sollte ich da mitmachen?
Die eigene DNA anzusehen, ist wie in den Spiegel zu schauen. Bloss, dass Sie noch viel mehr sehen können. Sie erhalten wertvolle Informationen, etwa über Gesundheitsrisiken, nach denen Sie Ihr Leben ausrichten können. Wenn Sie Ihre Informationen online mit anderen teilen, können Sie voneinander lernen und sich austauschen.

Der Blick in den Spiegel ist ja zuweilen schon unangenehm genug. Wollen wir denn wirklich noch mehr wissen?
Das muss tatsächlich jeder für sich entscheiden. Ich persönlich will so viel wissen wie möglich. Weil mir jede zusätzliche Information weiterhilft. Wenn ich beispielsweise ein 50-Prozent-Risiko habe, Alzheimer zu entwickeln, dann würde ich mein Leben anders leben. Ich würde zum Beispiel früher Kinder haben wollen, früher in Pension gehen. Aber ich kann absolut nachvollziehen, dass andere Leute nicht alles wissen wollen.

Was hat sich für Sie denn konkret verändert, seit Sie ihr Genom kennen?
Ich habe erfahren, dass ich ein hohes Risiko für Brustkrebs habe. Ich versuche seitdem, komplett auf Alkohol zu verzichten, weil Alkoholkonsum das Risiko weiter erhöhen würde. Letztlich geht es darum, dass ich mehr Kontrolle über meine eigene Gesundheit habe und gezielter Krankheiten vorbeugen kann.

Wie war das, als Sie sich plötzlich durch Ihr Erbgut klicken konnten?
Ich musste innehalten, bevor ich mir die Resultate angeschaut habe. Ich verspürte eine gewisse Angst davor, was ich wohl erfahren werde.

Eben, Sie muten Ihren Kunden ziemlich viel zu. Das schweizerische Bundesamt für Gesundheit warnt vor solchen Onlinetests, weil die Betreuung durch einen Arzt fehlt.
Diese Ansicht teile ich überhaupt nicht. Bei Schwangerschaftstests hat man früher auch behauptet, die Betroffenen könnten damit nicht allein umgehen und müssten einen Arzt beiziehen. Heute sagen wir: Ja, wir glauben, dass auch Laien diese Information verstehen und einordnen können.

Der Punkt beim Gentest ist aber, dass die Informationen komplexer sind und es mehr Interpretationsspielraum gibt.
Das stimmt. Deshalb bieten wir auf unserer Website zu jedem Befund zahlreiche Informationen und Links an. Wenn eine neue Studie erscheint, können Sie sofort sehen, was das für Sie bedeutet. Es ist Ihre Information, also sollen Sie direkten Zugriff darauf haben. Wenn Sie unsicher sind, können Sie immer noch zu einem Arzt gehen.

Die Gentests sind nur der erste Schritt. Sie verstehen 23andme als eine Art Gen-Community. Warum sollte ich mein DNA-Profil öffentlich machen?
Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die Leute, wenn sie ihr DNA-Profil erhalten haben, sich darüber austauschen wollen. Besonders bei Gesundheitsthemen sind die Leute sehr aktiv und tauschen teilweise sehr persönliche Dinge aus – weil sie voneinander lernen können. Wie viel Ihres Profils Sie mit anderen teilen, legen Sie selber fest.

Was wollen Sie mit 23andme erreichen?
Es geht im Gesundheitswesen nicht richtig voran. Enorme Summen werden investiert, die Fortschritte sind viel zu gering. Wir wollen die Möglichkeiten des Internets nutzen, um das zu ändern. Indem wir eine grosse Menge an Information demokratisieren, ermöglichen wir präzisere Forschung und personalisierte Gesundheitspflege. Es wäre grossartig, wenn jeder Mensch sein DNA-Profil in der Krankenakte hätte.

Damit schaffen Sie den gläsernen Menschen.
Natürlich muss man dieses Thema ernst nehmen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass dieses Wissen sehr viel mehr an positivem Potenzial mit sich bringt. Ein gewisses Missbrauchspotenzial besteht immer. Es ist allerdings nicht an uns, hier Leitplanken festzulegen.

Google ist Ihr Hauptinvestor. Will Google jetzt auch unsere DNA durchleuchten?
Ich bin mir bewusst, dass alles, was Google tut, kritisch verfolgt wird. Fakt ist: Sie haben keinen Zugang zu unseren Daten, und obwohl sie Hauptinvestor sind, sitzt niemand von Google im Verwaltungsrat. Das wird auch so bleiben.

Im Verwaltungsrat nicht, dafür bei Ihnen im Bett.
Dass ich mit einem Google-Gründer verheiratet bin, ist nun mal so. Das ist aber Privatsache. Vom Entscheid, bei uns zu investieren, wurde Sergey bewusst herausgehalten.

Warum hat denn Google investiert?
Genetische Information ist eine ganz neue Form von Information, die in Zukunft mehr zum Mainstream werden könnte. Google als Informations-Firma ist daran interessiert, dass dieser neue Bereich erschlossen wird.

Damit sie irgendwann darauf zugreifen kann? Immerhin ist das erklärte Ziel der Firma, «alle Information der Welt zu organisieren».
Google hat noch eine Weile damit zu tun, die Information zu organisieren, die schon vorhanden ist. Die genetische Information, mit der wir zu tun haben, ist nochmals etwas ganz anderes.

Das Vorgehen ist ziemlich ähnlich. Sie lesen und analysieren Code.
Wir haben ein ähnliches Ziel, das stimmt. 23andme baut quasi eine Suchmaschine für das menschliche Genom. Wir wollen den Menschen Zugang zu Informationen verschaffen und ihnen dabei helfen, sie zu verstehen. Und wir wollen möglichst viele Daten aus der ganzen Welt zusammentragen, weil damit der Gesamtnutzen steigt.

Wird unsere DNA bald Teil unserer Online-Identität?
Ich denke, ja – ganz einfach deshalb, weil alles online geht.

Genauso wie man heute via Google meine Adresse findet und bei Facebook einige Bilder von mir sehen kann?
Ihre DNA wird immer etwas sehr Persönliches bleiben. Ich glaube kaum, dass es Standard wird, dass Sie, um sich irgendwo zu registrieren, Ihr DNA-Profil angeben müssen oder dass Ihre DNA plötzlich öffentlich wird. Das ist wirklich Sciencefiction. Das DNA-Profil wird aber ein weiterer Teil unserer Identität sein, auf deren Basis wir online Gemeinschaften bilden können. So wie wir heute Leute mit gleichem Musikgeschmack treffen können oder Leute, mit denen wir zur Schule gegangen sind.

Biotech-Unternehmerin und Google-Frau
Anne Wojcicki ist eine der bekanntesten Frauen des Silicon Valley. Sie ist mit Google-Gründer Sergey Brin verheiratet und hat vor drei Jahren mit der Managerin Linda Avey das vieldiskutierte Start-up 23andme ins Leben gerufen. Die Biotech-Firma bietet Online-Gentests an und möchte ein «soziales Netzwerk auf Basis von Genen» aufbauen. Die Tochter eines Physikprofessors und einer Journalistin hat in Yale Biologie studiert und als Investorin verschiedene Firmen im Gesundheitswesen begleitet. Die 35-Jährige lebt mit Brin und ihrem gemeinsamen Sohn in Palo Alto, Kalifornien. www.23andme.com

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