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So was von gestern

July 17, 2009 (updated on October 24, 2009)

Von der technischen Entwicklung sind sie längst überholt, dennoch trotzen sie dem digitalen Zeitalter – vier Geräte, die nicht totzukriegen sind.

Von David Bauer

Medium: SonntagsZeitung
Ressort: Multimedia
Datum: 15.03.2009

Das Rad der Technik dreht immer schneller. Im Wochentakt werden neue Errungenschaften vorgestellt, die Halbwertszeit von technischen Geräten wird immer kürzer. Was gestern brandneu war, ist morgen überholt. Doch es gibt sie, die Urgesteine, die sich weiterhin behaupten. Manche haben es sich in Nischen bequem gemacht, andere sind landesweit im Einsatz – wie der Hellraumprojektor.

Der Hellraumprojektor

Der französische Begriff trifft es: Der Hellraumprojektor heisst bei unseren Nachbarn rétroprojecteur. Erinnerungen weckt es, dieses Ungetüm von einem technischen Gerät, aus dessen Schlund das Licht an die Wand geworfen wird. Es hat langweilige Schulstunden aufgeheitert, wenn dem Lehrer wieder die Lateinvokabeln auf der Stirn erschienen. Hat uns blossgestellt, wenn beim Vortrag der Angstschweiss auf der Folie kleben blieb und für alle an der Wand sichtbar wurde. Viele Jahre ist das her. Doch so fest das Gerät damals im Boden verankert war, so trotzig widersteht es heute dem Ansturm von Beamer und Powerpoint.

In Schulzimmern gehört der Hellraumprojektor weiterhin zur Standardausrüstung. Und selbst Neugeräte werden noch angeschafft: 4200 waren es 2007 in der Schweiz. Genutzt werden sie allerdings seltener, leider, sagt der Medienpädagoge Arnold Fröhlich. Junge Lehrer schreckten davor zurück, weil sie bei ihren Schülern nicht als altmodisch gelten wollen. Dabei sei der Hellraumprojektor die bessere Wahl, um Inhalte gemeinsam mit einer Klasse zu erarbeiten. Sogar «Montagsmaler» kann man damit spielen. Erfahrenen Lehrern bleibt er willkommen, weil sie um die Vorteile wissen. Weil sie mit der neuen Technik nichts zu tun haben wollen. Oder weil sie einfach ihre zehn Jahre alten Folien weiterverwenden wollen.

Der deutsche Traditionshersteller Kindermann kennt das schlagende Argument dafür, dass die Geräte nicht verschwinden: Sie seien «praktisch unkaputtbar».

Das Publifon

Mit einer kuriosen Innovation lenkte die Swisscom vor einem Jahr die Aufmerksamkeit auf ein beinahe in Vergessenheit geratenes Kulturgut des öffentlichen Raumes: Die Publifone akzeptieren, nach zehn Jahren Verweigerung, wieder Münz. In einer Zeit, in der die Schweiz mehr Handy-Kunden als Einwohner hat, stehen Telefonkabinen scheinbar vernachlässigt an Bahnhöfen, Bushaltestellen und Raststätten. Ihre Zahl ist seit dem Höchststand 1998 um ein Drittel geschrumpft, auf heute rund 8400 (zählt man die halböffentlichen Telefone in Restaurants, Spitälern und Firmen mit, sind es rund 23 500).

Aber immerhin: 175 Millionen Minuten wurden 2006 an öffentlichen Telefonen gesprochen. Genutzt werden die öffentlichen Telefone von Touristen und den verbliebenen Handy-Verweigerern. Und natürlich ist das Publifon die letzte Hoffnung, wenn der Handy-Akku unterwegs aufgibt (sofern die Nummern nicht auch im saftlosen Smartphone eingeschlossen sind).

Immerhin jeder Zwölfte in der Schweiz benutzt mindestens einmal im Monat ein öffentliches Telefon. Dennoch sind die Publifone für die Swisscom längst ein Verlustgeschäft. Im Sinne der Grundversorgung ist sie vom Bund aber dazu verpflichtet, weiter öffentliche Telefone zu betreiben. Vielleicht sollte man zum Dank öfters mal ein Vintage-Telefonat führen – für einen Aufschlag von 50 Rappen.

Das Faxgerät

Wer mit E-Mails und Attachments aufgewachsen ist, kennt das Faxgerät möglicherweise nur in Form des fiesen Gekreisches, das einen erschreckt, wenn man anstatt einer Telefonnummer aus Versehen eine Faxnummer gewählt hat. Ausgerechnet das E-Mail zeigt aber täglich, wie verbreitet Faxgeräte noch sind. In kaum einer Signatur fehlt die Faxnummer (Google allerdings ist per Fernkopie nicht zu erreichen). Die beiden grossen Hersteller Brother und Canon halten den Markt weiter für interessant. Im letzten Jahr wurden in der Schweiz 52 000 Geräte verkauft, nicht eingerechnet Multifunktionsgeräte. Warum bloss, wenn doch Dokumente bequem und kostenlos per Mail verschickt werden können?

Ein handschriftlich ausgefülltes Formular ist schneller gefaxt als eingescannt und elektronisch verschickt (vorausgesetzt, man weiss noch, wie man das Gerät bedient). Hinzu kommt: Gefaxte Unterschriften, zum Beispiel unter der Kündigung eines Handy-Vertrags, werden in der Regel akzeptiert – auch wenn das Fax als Kopie rechtlich keine Gültigkeit hat. Vielleicht aber ist die Erklärung in Tat und Wahrheit viel einfacher. Die Pressesprecherin von Canon sagt: «Man braucht den Fax irgendwie doch noch, weil andere noch damit arbeiten.»

Die Schreibmaschine

Rund 500 verschiedene Schreibmaschinen stehen im Museum für Kommunikation in Bern. Die ältesten stammen aus dem vorletzten Jahrhundert. Und dennoch gibt es da draussen, in unserer vernetzten Computerwelt, noch Maschinen, die sich standhaft dagegen wehren, als Museumsstücke zu enden. Und zwar nicht nur Liebhaberstücke von Olympia oder Hermes, die wunderschön aussehen – aber total unnütz sind.

Der Marktführer Brother hat fünf moderne Modelle im Angebot, im Grunde nichts anderes als Einfachstcomputer mit integriertem Tintenstrahldrucker. Die günstigste Maschine für den Heimeinsatz kostet 180.50 Franken. Für die «Komfort-Büro-Schreibmaschine» werden 1500 Franken fällig. Diese verfügt dann aber auch über ein Diskettenlaufwerk.

3500 Schreibmaschinen hat Brother im letzten Jahr verkauft, insgesamt dürften es noch ein paar Tausend mehr sein – dabei hat das Bundesamt für Statistik die Schreibmaschine schon 1993 aus dem Verbraucherindex gestrichen. Sprich: Seitdem kaufen Herr und Frau Durchschnitts-Schweizer offiziell keine Schreibmaschinen mehr.

Im Gegensatz zum Computer sind Schreibmaschinen einfach, garantiert virenfrei und stromsparend. Ihren Dienst leisten die Geräte in Banken oder Arztpraxen, wo Formulare mit Durchschlagpapier bedruckt werden müssen. Auch zum Beschriften von Couverts oder für Aktennotizen werden sie gerne verwendet. Genau dafür steht selbst im Museum noch eine in den Büros.

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