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Glamouröse Wadenbeisser

August 17, 2009 (updated on October 24, 2009)

Die Kunstfiguren Amber Steele und BJ Hyatt bescheren der Schweiz endlich einen giftigen Klatschblog

Von David Bauer

Medium: SonntagsZeitung
Ressort: Multimedia
Datum: 05.07.2009

Im Halbdunkeln ist gut munkeln. Als im Zürcher Kaufleuten der Kolumnist Mark van Huisseling sein neues Buch vorstellt, stehen neben der Bar zwei unscheinbare Gestalten, in Dunkelheit gehüllt. Nur die kleine Flip-Kamera, mit der sie den ganzen Anlass filmen, verrät, dass die beiden keine ganz normalen Zuschauer sind. Es sind Amber Steele und BJ Hyatt, die fiesesten Klatschreporter der Schweiz. Zusammen betreiben sie den Weblog Klatschheftli.ch, wo sie mit spitzer Feder über die Schweizer ABC-Prominenz schreiben.

Seit Dezember letzten Jahres gibt es das Klatschheftli. Gegen 100 000 Seitenaufrufe erzielte die Website im Juni, für einen jungen Schweizer Blog eine respektable Leistung. Und sie haben geschafft, was das Ziel eines solchen Mediums sein muss: Sie werden geliebt und gehasst. Ihr süffisanter Stil, der piekst und sticht, bisweilen auch unter die Gürtellinie rutscht, provoziert. Immer mal wieder melden sich Agenten von Prominenten bei den Klatschheftlimachern und verlangen, dass Texte geändert oder gelöscht werden.

«Blick» und «Weltwoche» übernehmen dankbar Klatsch

«Wir wollen so über Promis schreiben, wie man unter Freunden über sie spricht», sagt Amber. «In der Schweizer Klatschpresse sind alle immer so nett, weil sie es sich mit niemandem verscherzen wollen.» Das Klatschheftli befreit die zuweilen schmerzhaft steife Promiberichterstattung aus ihrem Korsett.

Für den unverblümten Stil des Klatschheftli gibt es in den USA sehr erfolgreiche Vorbilder. König der Klatschblogger ist Mario Lavandeira alias Perez Hilton. Seit vier Jahren berichtet er auf seiner Website perezhilton.com über Neuigkeiten und Gerüchte aus der amerikanischen Promiszene. Um Anstand und Tabus kümmert er sich wenig, seine Website gilt als die meistgehasste Hollywoods. 250 Millionen Mal wird seine Website pro Monat durchschnittlich aufgerufen, gleich oft wie hierzulande Blick online und 20 Minuten online zusammen.

Dass nun auch die Schweiz einen bissigen Klatschblog hat, ist einer einfachen Überlegung zu verdanken. Wieso nicht mal aufschreiben, was man unter Freundinnen ohnehin so lästert und tratscht? Ein Blog ist schnell eingerichtet, und schwupps, war es da, das Klatschheftli. Ein Spassprojekt, ohne spezielle Ambitionen. «Geistige Selbstbefriedigung» nennt es BJ.

«Eigentlich interessieren mich Promis gar nicht. Viele kenne ich nicht mal», sagt Amber, auf ihre Motivation angesprochen. BJ nickt sofort zustimmend. Sondern? «Interessant sind die Mechanismen der Selbstinszenierung, die man sehr gut beobachten kann.» Und natürlich kommentieren die beiden genüsslich das Treiben der Schweizer Promis – quick and dirty. Dafür klappern sie regelmässig Szeneanlässe ab, gerne auch mal drei an einem Abend. Inzwischen werden ihnen auch immer öfter Informationen und Gerüchte direkt zugespielt. Unterstützt werden sie von weiteren Autorinnen und Autoren, darunter ein Zahnarzt, eine Stylistin und eine IT-Spezialistin einer Bank.

Da wird also exklusiv über die Trennung von Wetterfee Cécile Bähler berichtet oder Shawne Fielding per Recherche von der Miss Texas zur Miss Excess heruntergestuft. Und in der Rubrik «Missen Dissen» werden, nun ja, Missen und solche, die es noch werden wollen, gedisst («da sind Mädels drunter, die es schon im Vorjahr nicht in die Endrunde geschafft haben oder welche, die an der Miss-Vache-qui-rit-Wahl gescheitert sind»). Der «Blick» hat schon mehrmals dankbar Klatsch vom Heftli übernommen, zuletzt auch die «Weltwoche». Von deren Chefredaktor Roger Köppel hat das Klatschheftli ein doppelt exklusives Video auf der Website. Mit Frau, ohne Krawatte.

Ein schlechtes Gewissen wegen ihrer giftigen Kommentare haben die Autoren nicht. Die Cervelats leben davon und dafür, sich selber zu inszenieren. Da müsse man auch einstecken können. Anderen so auf die Füsse zu treten und dabei selber anonym zu bleiben, ist ziemlich feige, nicht? «Alles, was wir schreiben, würden wir unter unseren richtigen Namen genauso schreiben», entgegnet BJ. Und warum tut ihr es dann nicht? «Wir sind ja nicht besonders spannend, die virtuellen Charaktere Amber und BJ sind viel interessanter.»

Hyatt und Steele: Im Internet prominent, anonym privat

Die Pseudonyme sind kein Versteckspiel, sondern kalkulierte Marketing-Spielerei. Inszenierung durch Maskierung. Tatsächlich haben die beiden Kunstfiguren etwas Geheimnisvolles und scheinen viele zu faszinieren. Amber Steele, der Name ist einer Pornodarstellerin entliehen, hat auf Facebook schon über 2300 Freunde gesammelt. 1600 sind es bei BJ Hyatt («Amerika hat seinen Hilton, also kriegt die Schweiz einen Hyatt», die Initialen huldigen Londons Bürgermeister Boris Johnson, so die offizielle Sprachregelung). Während die fiktiven Klatschreporter langsam selber zu kleinen Internet-Promis werden, bleiben sie unter bürgerlichem Namen unbekannt wie jeder andere.

Das soll so bleiben. Verraten sei dies: Amber ist tatsächlich eine Frau. Trägt blondes Haar, ist 29 Jahre alt und arbeitet bei einem Online-Startup. BJ ist männlich, 50 Jahre alt und Medienberater. Der Rest soll der Fantasie der Leser überlassen werden. Immerhin: So weit wie hier haben sich die beiden noch nie aus dem Halbdunkeln herausgewagt.

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