Newsnetz: Gute Zahlen und ein grosses Imagerisiko
September 5, 2008
Am Montag erscheinen die neuen WEMF-Zahlen für Websites in der Schweiz und es würde wenig erstaunen, wenn das neue Newsnetz (der Verbund von tagesanzeiger.ch, bazonline.ch und bernerzeitung.ch) dann bereits an NZZ Online und dem Blick vorbei an die erste Stelle der Schweizer Medienwebsites schiesst (gemessen an den unique users, also effektiven Besuchern).
Das ist eine schöne Leistung, doch eigentlich nicht mehr als Pflichtprogramm, wenn man drei Websites zusammenlegt und eine 40-köpfige Redaktion ins Rennen schickt. Auch, dass die Nutzungszahlen, wie man hört, massiv nach oben geschossen sind, darf nur bedingt erstaunen. Es ist in erster Linie der Beleg dafür, dass die alten Websites der drei Medien tiefstes Web-Mittelalter waren.
Das wirkliche Potenzial, das im Newsnetz steckt, nämlich qualitativ ansprechenden Onlinejournalismus auf nationaler Ebene und gleichwohl mit starkem lokalen Fokus zu bieten, muss sich allerdings erst noch entfalten. Inzwischen, nach rund einem Monat, hat man immerhin das Gefühl, die RedaktorInnen sind nicht mehr in erster Linie mit der Technik am kämpfen und können sich langsam der Inhalteproduktion widmen.
Das grösste Manko und zugleich das grösste Imagerisiko stellen die Videos dar. Die grossen deutschen Nachrichtenseiten unterhalten eigene Videoredaktionen für ihre Websites und setzen, allen voran Spiegel Online, Massstäbe, an denen man sich auch beim Newsnetz messen lassen muss.
Was man derzeit zu sehen bekommt, lässt selbst mich, der ich nur 2 kurze Crashkurse in Videojournalismus besucht habe, erschaudern. Bei manchen Videos kann ich gar nicht anders als mir vorzustellen, dass hinter der Kamera ein dicker Mann in Badehosen steht, der in Mallorca aufs Meer hinaus filmt. Solche Ferienvideo-Qualität gehört nicht auf eine seriöse Nachrichtenwebsite.
Beispiele gefällig? Gerne.
Wacklige Kameraführung und falsches Framing: Wenn Herr Vonlanthen nach links schaut, gehört sein Kopf in die rechte Bildhälfte, ein neutraler Hintergrund würde auch nicht schaden
Schlechter Ton: Der Interviewer sollte natürlich auch ins Mikrofon sprechen, wenn man das Interview ungeschnitten wiedergeben will (und sagt mir jetzt nicht, ihr arbeitet nur mit integrierten Mikrofonen). Wenn man dann noch das passende Mikrofon nimmt, lässt sich der Ton so pegeln, dass man wirklich das hört, was man hören soll (dazu braucht man dann noch Kopfhörer).
Framing, Ton, Interviewführung – alles schlecht: Okay, Interviewpartner Stocker sitzt links und schaut nach rechts, also ist er in der linken Bildhälfte gut platziert. Aber der arme Mann im Hintergrund, will der wirklich beim Mittagessen gefilmt werden? Nach dem ersten Schnitt kriegt Stocker dann ein Hirschgeweih, Anfängerfehler (siehe Bild). Ton: siehe oben. Und dann sollte halt ein 2-Minuten-Interview schon irgendwie auf den Punkt sein…
YouTube will do: Nein, YouTube nimmt euch die Arbeit nicht ab. Überlasst das inflationäre Einbinden von YouTube-Videos doch lieber den Kollegen von 20min.ch.
Ich könnte noch zahlreiche weitere Beispiele bringen, but you get the picture. Will das Newsnetz seinem Anspruch gerecht werden, das Online-Leitmedium der Schweiz zu werden, dann muss im Bereich der selber produzierten Videos noch einiges gehen. Wobei: So viel bräuchte es gar nicht, um einigermassen solide Videos mit ordentlichem Framing, gutem Ton und ansprechendem Schnitt produzieren zu können. Und bei Tele Züri, das ebenfalls zu Tamedia gehört, hat man ja ein paar Leute, die wüssten, wie es geht…
> Web TV: Wackeln im Web (Analyse des Videocontents deutscher Nachrichtenwebsites, Medienlese.com)
> Alle sind im Internet. Die Baz ist bald auch da