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Müssen Journalisten ihre politische Einstellung deklarieren? Ein Diskussionsbeitrag.

March 5, 2011 (updated on January 13, 2014)

Ein Journalist, der es mit der Transparenz ernst meint, deklariert seine politische Einstellung nicht einfach so. In diesem Artikel erkläre ich, wie ich das meine.

Eine kurze Rekapitulation: Der Weltwoche-Autor Andreas Kunz hatte diese Woche per Mail zahlreiche Journalistinnen und Journalisten von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) gebeten, ihm eine Reihe von Fragen zu ihrer politischen Gesinnung und allfälligen Mitgliedschaften bei Parteien, Gewerkschaften oder NGO zu beantworten (im Detail nachzulesen in der Medienwoche). Die Journalistengewerkschaft ssm hat daraufhin öffentlich “gegen die politische Gesinnungsschnüffelei” der Weltwoche protestiert (siehe Medienmitteilung). Mein Kollege Barnaby Skinner sowie die Blogger von infamy haben besonnener reagiert und einfach den Spiess umgedreht und die Weltwoche nach ihren politischen Verbindungen gefragt.

Der Mythos von den linken Medien wird von solchen hochgehalten, die so weit rechts stehen, dass ihnen schon die Mitte links vorkommt.

Dazu ist zunächst festzuhalten: Natürlich hat die Weltwoche das Recht, jeder Person und Institution jene Fragen zu stellen, die sie für relevant hält. Genauso hat jeder Angefragte die Möglichkeit, die Auskunft (aus verschiedenen Gründen) zu verweigern. Und natürlich ist das Motiv der Weltwoche-Anfrage leicht zu erahnen. Es geht darum, “Belege” für das angeblich “linke Staatsfernsehen” zu sammeln, das mit Gebührengeldern Propaganda für die politische Linke mache. Die Weltwoche ist neben der SVP jene Institution, die am lautesten den Mythos aufrecht erhält, Schweizer Medien und Journalisten seien praktisch allesamt politisch links zu verorten. Wer sich eine Weile in der Schweizer Journalistenszene bewegt hat, weiss, dass dies Unsinn ist. Der Mythos von den linken Medien wird von solchen hochgehalten, die so weit rechts stehen, dass ihnen schon die Mitte links vorkommt. Oder etwas mathematischer: Je weiter man auf einer Gauss-Kurve nach rechts geht, desto grösser die Fläche links davon.

Dies ändert freilich nichts daran, dass die Frage diskussionswürdig ist: Müssen Journalisten ihre politische Einstellung deklarieren?

Meine Antwort: Journalisten sollen so transparent wie möglich sein. Und genau deshalb nicht einfach so ihre politische Einstellung deklarieren.

Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Selbstverständlich habe ich eine politische Einstellung. Ich halte mich auch nicht zurück, diese zu einzelnen Themen dezidiert zu äussern (meist via Twitter). Wer meine Spuren im Netz nachverfolgt, hat keine grosse Mühe, mich politisch zu verorten. Damit der interessierte Leser an dieser Stelle nicht googlen muss: Ich würde mich links der Mitte verorten, wobei ich in Wirtschaftsfragen generell liberaler als die Linke eingestellt bin und mich oft genug ärgere, wie SP und Grüne politische Themen angehen.

Journalisten dazu aufzufordern, ihre politische Einstellung zu deklarieren, bedeutet, diese als einzig relevanten oder zumindest den alles überlagernden Einflussfaktor auf das journalistische Produkt anzunehmen.

Ich bin auch nicht so naiv zu glauben, dass diese politische Einstellung mein journalistisches Schaffen nicht in gewisser Weise beeinflusst. Der Punkt ist aber der: Ich bin genauso beeinflusst von der Tatsache, dass ich ein Mann bin, mehr als der Schweizer Durchschnitt verdiene, keiner Religion angehöre, seit über 25 Jahren in Basel lebe, noch nie in Afrika war, Freundschaften mit zahlreichen Personen aus dem Musikgeschäft pflege, Angst vor Hunden habe, etc. etc.

Journalisten dazu aufzufordern, ihre politische Einstellung zu deklarieren, bedeutet, diese als einzig relevanten oder zumindest den alles überlagernden Einflussfaktor auf das journalistische Produkt anzunehmen. Diese monokausale Logik ist genauso verfehlt wie die nach wie vor verbreitete Annahme, bei Verbrechen sei insbesondere die Nationalität der Täter von Interesse.

Journalisten sollen so transparent wie möglich sein. Und genau deshalb nicht einfach so ihre politische Einstellung deklarieren.

Was der Öffentlichkeit effektiv dient, ist Transparenz von Journalisten. Als Absender von Information sind sie umso glaubwürdiger, je besser die Empfänger wissen, mit was für einem Menschen sie es zu tun haben, wofür er steht und wie er als Journalist arbeitet (wie ich dies bereits im Artikel «Der Journalist im Netz – was muss er sein, was muss er können?» dargelegt habe). Gleiches gilt für ganze Medienhäuser: Wer finanziert sie, mit wem arbeiten sie zusammen, welche Abhängigkeiten bestehen?

Der einzelne Journalist tut also gut daran, sich nicht auf seine politische Einstellung festnageln zu lassen. Stattdessen sollte er – das Netz bietet ihm genügend Möglichkeit dazu – in möglichst grossem Masse für Transparenz über seine Person sorgen, selbstverständlich immer unter Wahrung seiner eigenen Privatsphäre sowie jener von Angehörigen. Wenn er dies tut, gibt er seinem Publikum und möglichen Kritikern genügend Möglichkeit, nachzuprüfen, ob er seiner Aufgabe als Journalist gewissenhaft nachkommt, nämlich ausgewogen zu berichten. Die perfekte Objektivität, die gibt es nirgendwo.

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